
Pro
20 Spieltage sind gespielt, Hertha steht sensationell an der Spitze der Tabelle und noch immer traut niemand der alten Dame den ganz großen Wurf zu. Genau da liegt die große Chance für die Berliner. »Hertha ist kein Konkurrent«, hat Bastian Schweinsteiger noch am Freitag getönt. Schon einen Tag später wurde er eines besseren belehrt.
Hertha hat einen Lauf. Das Team zeigt eine unglaubliche Geschlossenheit und lässt sich auch von Rückschlägen, wie den zahlreichen Verletzungen oder dem Theater um Torjäger Pantelic, nicht aus der Bahn werfen. Fällt ein Spieler aus, springt sofort ein anderer in die Bresche. Trainer Favre hat sein System etabliert und weicht davon keinen Zentimeter ab, Widerspruch wird nicht geduldet. Im Kasten der Berliner hat Jaroslav Drobny die Form seines Lebens erreicht und ist neben den Routiniers Simunic und Friedrich der Garant dafür, dass Hertha im Vergleich zu den anderen Spitzenteams bisher die wenigsten Gegentore kassiert hat. Und seit dem Wochenende steht endlich auch die Stadt hinter ihrem Fußballteam. 74 000 begeisterte Zuschauer feierten den Sieg gegen die Bayern. In Berlin ist eine noch die da gewesene Euphorie um die bisher doch so biedere Hertha entstanden. Die Fans und die Mannschaft strotzen nur so vor Selbstvertrauen, verlieren dabei aber nicht die Bodenhaftung. Keiner im Verein erwartet einen Titel, trotz der Tabellenführung bleibt die Qualifikation für den Uefa-Cup das Ziel.
Der VfB Stuttgart hat es 2007 vorgemacht, ohne dass sie jemand auf der Rechnung hatte spielten sich die Schwaben in einen wahren Rausch, legten eine überragende Rückrunde hin und wurden völlig überraschend Deutscher Meister. Ein Ding der Unmöglichkeit für Hertha BSC? Ganz bestimmt nicht, denn gerade wenn es gegen direkte Konkurrenten um die so genannten »Big Points« geht, trumpfen die Hauptstädter groß auf. Fünf der sechs Verfolger haben sie im direkten Duell geschlagen. Geht Hertha den bis jetzt beschrittenen Weg genauso konsequent weiter, wird Dieter Hoeness am 23.05, nach der Rückkehr aus Karlsruhe, mit der Meisterschale in der Hand durch das Brandenburger Tor fahren.
Contra
Stein, Rodnei , Nicu und Ebert sind nur einige Namen aus der Startaufstellung von Hertha BSC gegen Bayern München – nicht gerade Hauptdarsteller im »Who´s Who« der deutschen Bundesliga. Dass die »Alte Dame« nicht Meister wird, hat damit einen simplen Grund: Den Berlinern fehlt es an Kader-Qualität. Mit einem funktionierenden Kollektiv lässt sich zwar vieles kompensieren, aber für ein Starensemble, wie es der FC Bayern stellt, ist die Hertha auf Dauer keine Gefahr. Es fehlt an individueller Klasse. Auch wenn sich in jedem Mannschaftsteil Spieler wie Simunic hervortun, die es für eine Saison mit den Großen der Liga aufnehmen können, sind es die Kicker vom FCB, HSV oder von Bayer 04 Leverkusen, die individuelle Klasse definieren.
Nach einem Sieg gegen Bayern werden aus drei Punkten schnell gefühlte Titelgewinne. Noch eine Woche zuvor hatte das 1:1 in Bielefeld Katerstimmung verursacht. Es dürfte nicht die letzte Enttäuschung dieser Art gewesen sein. Daher wird die jetzige Wir-können-Meister-werden-Euphorie genauso schnell aus den Köpfen der Fan-Optimisten verschwinden, wie sie sich dort hineingeschlichen hat.
Die Berliner haben neun ihrer zwölf Siege mit einem Tor Unterschied gewonnen. Verwundertes Kopfschütteln ob des Endergebnisses ist keine seltene Geste bei geschlagenen Gegnern. Denn optische Überlegenheit zählt nicht gerade zu den Begleiterscheinungen des Herthaner Spiels. Die Mannschaft um Trainer Lucien Favre kommt durch taktische Disziplin, eingespielte Laufwege und effektive Offensivvorstöße zum Erfolg. Das Ergebnis dieser Spielweise ist manchmal glücklich, meistens gut, mitunter sehr gut – aber nicht meisterlich. Für den Titel braucht es Spieler wie Ribéry Augusto oder Petric.
Andrej Voronin hat die tabellarische Momentaufnahme richtig eingeschätzt, als er dem Tagesspiegel sagte: »Die Spitzenvereine sind so eng beieinander, da bist du eine Woche oben und in der nächsten vielleicht schon nicht mehr.« Kommendes Wochenende naht das Herthaner Gastsspiel in Wolfsburg. Voronin wird Recht behalten, Hertha die Tabellenspitze verlieren und die Diskussion um einen Berliner Meister 2008/2009 bald beendet sein.
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